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Durchs Erzgebirge rollt eine fahrerlose Eisenbahn. Laborzug Lucy wird über 5G-Mobilfunk ferngesteuert. Der Test ist ein Schritt hin zum automatisierten Bahnverkehr – für mehr Züge auf einem digitalisierten Schienennetz.

An einem kalten Dienstagmorgen treffen im Erzgebirge drei Eisenbahngenerationen aufeinander. Im Museumsbahnhof Schlettau steht ein Mitarbeiter an schweren Hebeln, mit denen hier noch immer die Weichen und Signale gestellt werden. Draußen vor dem Gebäude aus dem Jahr 1889 brummt der Dieselmotor von Lucy, einem Triebwagen von 1994, der nach Jahren im Regionalverkehr nun als Laborzug unterwegs ist und das Bahnfahren simuliert, wie es vielleicht 2030 oder 2040 sein wird.

Lucy hat Kameras, Computer und Radar an Bord

Im Lucy-Zug riecht es nach Kaffee und Zukunft. Das Team an Bord bereitet sich auf einen langen Tag vor, neben der gurgelnden Kaffeemaschine liegt eine Papiertüte voller Brötchen. Lucy selbst ist nicht nur voll besetzt mit Forschern und Technikern, sondern auch vollgestopft mit Technologie: Antennen für 5G-Mobilfunk, Radar auf dem Dach, das europäische Zugsicherungssystem ETCS (European Train Control System) und Kameras, die die Strecke scannen.

Oliver Brückom läuft immer wieder von einem Ende des Zuges zum anderen. Er ist der Testleiter, trägt ein Headset auf dem Kopf, in der einen Hand ein Handy, in der anderen einen Zettel mit der Aufschrift „Betriebliche Anweisung zur Durchführung von Probefahrten“. Brückom ist gelernter Lokführer – er ist mit Güterzügen quer durch Deutschland gefahren und steuert Dampfloks aus Leidenschaft. Heute arbeitet er mit der gleichen Leidenschaft an der Zukunft des Schienenverkehrs.

Lokführer sitzt 250 Kilometer entfernt

Es ist kurz vor Mittag, als Lucy unter Brückoms Aufsicht die ersten Meter ferngesteuert fährt. Der Befehl hierfür kommt aber nicht von nebenan aus dem Häuschen mit den schweren Hebeln, sondern von einem Lokführer im 250 Kilometer entfernten Braunschweig. Möglich macht das ein 5G-Mobilfunkmast, der gleich neben dem sächsischen Museumsbahnhof in die Höhe ragt. Er versorgt Lucy drahtlos mit einer superschnellen Internetverbindung.

In Braunschweig kann Lokführer Volker Grube deshalb die Kontrolle übernehmen. Grube sieht genau das, was Brückom gerade in diesem Moment in Schlettau wahrnimmt. Auf drei Monitoren sieht der Fernsteuer-Tf, also Fernsteuer-Triebfahrzeugführer, Livebilder aus der Perspektive des Führerstands. Vor sich hat Grube ein nachgebautes Steuerpult mit Hebeln und Knöpfen zum Beschleunigen, Bremsen und Türen öffnen.

5G macht digitalen Bahnverkehr möglich

Bremst Volker Grube in Braunschweig, bremst genau in diesem Moment auch der Zug mit Oliver Brückom im Erzgebirge. Dass dabei keine Sekunden vergehen, sondern ein Wimpernschlag, liegt an 5G: In der 5. Generation des Mobilfunks schrumpft die Latenz, also die Verzögerung im Übertragungsweg, auf kaum noch wahrnehmbare Sekundenbruchteile. Entlang der Strecke zwischen Annaberg-Buchholz und Schwarzenberg baut Vodafone im Auftrag der TU Chemnitz im Rahmen des „Digitalen Testfelds Bahn im Erzgebirge etwa ein Dutzend neue 5G-Mobilfunkstandorte. Der Aufbau des Testfelds einschließlich der 5G-Infrastruktur wird gefördert durch das BMDV. Die Strecke ist Teil des Smart Rail Connectivity Campus, auf dem verschiedene Projekte die Zukunft der Bahn testen.

Doch warum diese Testfahrten per Fernsteuerung? Die kurze Antwort: Weil mehr Züge fahren sollen, aber kaum Personal zu finden ist. Die etwas längere Antwort: Weil Züge ebenso wie Taxis auf der Straße womöglich eines Tages komplett fahrerlos unterwegs sein werden, aber hin und wieder ein Mensch aus der Ferne eingreifen muss.

Oliver Brückom ist Chef der UEF Eisenbahn-Verkehrsgesellschaft und besetzt selbst tagtäglich Führerstände mit Personal. Doch das wird immer schwieriger – und genau deshalb sollten die ausgebildeten Frauen und Männer lieber anspruchsvolle Tätigkeiten ausüben statt Standardaufgaben, sagt er. „Man verbringt in diesem Beruf viele Stunden mit Warten und mit Rangierfahrten“, erzählt Brückom. „Und es gibt Kollegen, die den ganzen Tag Züge in die Werkstatt fahren oder dorthin, wo die Toiletten geleert werden.“ Diese Tätigkeiten kann er sich in Zukunft ferngesteuert vorstellen. Vom Homeoffice oder Büro aus könnten dann Lokführer digital von Zug zu Zug springen und die Fahrzeuge ferngesteuert dorthin fahren, wo sie benötigt werden.

Fernsteuerung bietet Sicherheit im automatisierten Zug

Niels Brandenburger denkt noch einen Schritt weiter. Brandenburger ist Projektleiter der 5G-Zugfernsteuerung beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). „Die Zukunft gehört dem automatisierten Zugbetrieb“, sagt Brandenburger. „Aber man kann nur automatisieren, wenn es eine Lösung für den Störfall gibt. Und diese Lösung kann die Fernsteuerung über das 5G-Netz sein.“ Konkret heißt das: Züge könnten eines Tages ohne Lokführer auf die Strecke gehen – und einen Menschen aus der Ferne zur Hilfe rufen, wenn der Computer mal überfordert ist.

Bei der Testfahrt im Erzgebirge kooperiert das DLR mit dem Unternehmen Thales, dem auch Lucy gehört. Die Tests werden vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) im Rahmen des Projekts 5G-Reallabor gefördert. Der 5G-Test ist dabei Teil eines großen Ganzen, das wird auch mit Blick auf Lucy deutlich. Im Zug fährt unter anderem ein Computer mit, auf dem eine künstliche Intelligenz die Kamerabilder interpretiert: Steht da hinten ein Mensch auf den Gleisen? Braucht es einen Nothalt? Oder hoppelt da nur ein Hase noch schnell über die Schiene? Eine solche Technologie wäre womöglich ein weiterer Baustein für einen automatisierten und später völlig autonomen Bahnverkehr.

Testleiter Oliver Brückom hat seine ganz eigene Vision von der digitalen Schiene: Er hat Spaß am Neuen und eine Leidenschaft fürs Alte. „Eine autonome Dampflok fände ich gut“, sagt er und dann etwas ernsthafter: „Alle wollen mehr Verkehr auf die Schiene bringen, aber das gelingt nur, wenn die alte Eisenbahn sich ändert.“

5G im Bahnbetrieb

5G steht für die 5. Generation des Mobilfunks. Wie bei 4G (LTE) werden auch bei 5G Daten über Funkwellen übertragen. Vorteile: 5G kann mehr Daten übertragen, bietet eine geringere Verzögerung (Latenz) und versorgt mehr Geräte innerhalb einer Funkzelle. Zudem können sich 5G-Netze virtuell in Scheiben aufteilen: Durch Network-Slicing steht bestimmten Anwendungen dann eine garantierte Leistung zur Verfügung. Selbst wenn viele Geräte in der Nähe online sind, hätte dann zum Beispiel der Zug kein „lahmes Internet“.

Für die Eisenbahn spannend:

Der 5G-Standard ist die Basis für den Bahnfunk der Zukunft: FRMCS, Future Railway Mobile Communication System. Der aktuelle Bahnfunk GSM-R basiert auf 2G.

Unternehmen können ein eigenes 5G-Netz aufbauen. Im Campusnetz könnten zum Beispiel Loks, Kräne und Fahrzeuge auf einem Güterbahnhof kommunizieren.

5G bietet auch alle Voraussetzungen für die sichere Fernsteuerung von Zügen in Echtzeit. Damit ermöglicht es kommende Stufen des European Train Control Systems (ETCS) sowie Automatic Train Operation (ATO) und Remote Train Operation (RTO).

Für den Deutschlandtakt bedeutet das beispielsweise:

Digitalisierung, Automatisierung und künstliche Intelligenz sind wichtige Bausteine für eine höhere Kapazität und eine optimale Nutzung des Schienennetzes im Sinne des Gesamtkonzepts Deutschlandtakt.

Das Ziel ist klar: ein attraktiverer Bahnverkehr mit mehr Zügen in höherer Qualität.

Die Eisenbahn wird wieder zur Hochtechnologiebranche, mit zukunftsfähigen Arbeitsplätzen und Innovationskraft über Deutschland hinaus.

Mehr Informationen gibt es bei Deutschland spricht über 5G. Im Online-Dialog können Sie Ihre Fragen zum Mobilfunkausbau stellen. Auf YouTube sehen Sie den 5G-Test als Video: