Auf der geplanten Neubaustrecke zwischen Dresden und Prag soll ein Tunnel durch das Osterzgebirge führen. Die Planerinnen und Planer arbeiten über die Ländergrenzen hinweg und bewältigen geologische Herausforderungen. Kay Müller berichtet im Interview, welche Besonderheiten das Projekt mit sich bringt. Müller begleitet das Projekt seit 2018 als technischer Projektleiter bei der DB InfraGO AG.
Herr Müller, wie sehen die Pläne für die Neubaustrecke Dresden – Prag aus?
Kay Müller: Wir planen gemeinsam mit unseren tschechischen Kollegen eine Neubaustrecke, die durch das Erzgebirge hindurch nach Prag führt. Dadurch wird sich die Fahrzeit reduzieren, da die Neubaustrecke insgesamt kürzer ist und die Züge deutlich höhere Geschwindigkeiten fahren können. Statt 198 Kilometer müssen die Züge hier nur 140 zurücklegen. Um die Kapazität bewältigen zu können, muss auch die Zulaufstrecke Dresden bis Heidenau ausgebaut werden. Heute haben wir zwischen Dresden und Prag eine Fahrzeit von knapp zweieinhalb Stunden, mit der Neubaustrecke reduziert sie sich auf eine Stunde. Nimmt man die Verbindung Berlin – Prag, verkürzen wir die Fahrzeit von vier Stunden und 15 Minuten auf zweieinhalb Stunden. Das ist ein erheblicher Fahrzeitgewinn sowohl im Güter- als auch im Personenverkehr.
Warum ist dafür eine Neubaustrecke nötig?
Müller: Der grenzüberschreitende Güter- und Personenverkehr nimmt zu. Deshalb müssen wir zusätzliche Kapazitäten schaffen. Die bestehende Strecke schlängelt sich durch das Elbtal über Dresden, Pirna und Děčin und ist aufgrund der Topografie nicht ausbaufähig.
Bereits seit 2019 untersuchen Sie und Ihr Team verschiedene Varianten, um die ideale Streckenführung zu finden. Wie sieht der aktuelle Planungsstand aus?
Müller: Wir haben die Untersuchungen abgeschlossen und im Ergebnis eine Variante identifiziert, die die vorab festgelegten Kriterien am besten erfüllt. Gemeinsam mit unseren tschechischen Kollegen planen wir einen etwa 30,2 Kilometer langen Tunnel. Damit ist unsere erste Planungsstufe, die Vorplanung, abgeschlossen. Das heißt, wir wissen zum Beispiel, wo der Tunnel verläuft, wo seine Portale liegen und wo zwischen Dresden und Pirna ein Ausbau notwendig ist, um Überholmöglichkeiten zu schaffen. Wir haben auch die Bauzeit, die Bautechnik und die Kosten berechnet sowie die Auswirkungen auf die Umwelt einbezogen.
Derzeit bereiten wir die sogenannte parlamentarische Befassung vor, die voraussichtlich dieses Jahr dem Bundestag vorgelegt wird. Jedes Projekt des Bundesverkehrswegeplans muss über das Bundesministerium für Digitales und Verkehr in diese Befassung, um noch einmal geprüft und verabschiedet zu werden. Dabei wird dem Deutschen Bundestag das Ergebnis der Vorplanung unter Berücksichtigung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne des Verwaltungsverfahrensgesetzes berichtet. Der Deutsche Bundestag kann diesen Bericht zur Kenntnis nehmen oder dazu eine Beschlussfassung herbeiführen.
Was sind die Vorteile dieser Volltunnelvariante?
Müller: Sie ist wirtschaftlicher und kostengünstiger als die Teiltunnelvariante, die ebenfalls untersucht wurde. Die Fahrzeitverkürzung ist besser und wir verursachen weniger Lärm. Zudem brauchen wir viel weniger Grund und Boden als bei einem Ausbau. Die Strecke wird insgesamt zuverlässiger. Denn der Tunnel ist weniger anfällig für Hochwasser und Hangrutschungen als die Bestandsstrecke durch ihre unmittelbare Lage an der Elbe in der Sächsischen Schweiz.
Welche Kriterien waren für die Linienführung ausschlaggebend?
Müller: Für die Linienführung sind die Gradienten, also die Neigungen, entscheidend. Wir versuchen, diese so gering wie möglich zu halten. Derzeit liegt sie bei vier Promille. Wir haben ein sogenanntes Dachprofil, das heißt, wir fahren in Deutschland mit vier Promille oder 0,4 Prozent bergauf, etwa einen knappen Kilometer hinter der Grenze geht es dann mit vier Promille bergab. Das ist die Mindestneigung, die wir brauchen, um auch schwere Güterzüge auf dieser Neubaustrecke fahren zu lassen.
Gleichzeitig haben wir in diesem Gebiet geologische Störzonen, wo verschiedene Gesteinsschichten aufeinandertreffen. Es ist daher besser, diese Zonen nicht zu durchfahren.
Welche Besonderheiten müssen Sie dabei beachten?
Müller: Der Einfluss des Tunnels auf das Grundwasser muss beobachtet werden. In zwei Kilometern Entfernung befindet sich eine Talsperre, die Pirna mit Trinkwasser versorgt. Wir müssen nachweisen, dass der Tunnel keinen Einfluss auf die Trinkwassergewinnung hat. Das Interessante an diesem Fall ist, dass etwa 60 Prozent des Einzugsgebietes nicht mehr in Deutschland, sondern in Tschechien liegen. Deshalb werden wir ein grenzüberschreitendes Trinkwassermonitoring einrichten.
Wie viele Züge werden voraussichtlich innerhalb von 24 Stunden durch den Tunnel fahren?
Müller: Für die Planung haben wir die grenzüberschreitenden Zugzahlen mit dem tschechischen Partner abgestimmt. Wir rechnen mit 150 Güterzügen und 48 Personenzügen. Die Schwierigkeit liegt in der unterschiedlichen Geschwindigkeit der beiden Zugarten. Der Güterverkehr fährt maximal 120 km/h, der Personenverkehr 200 km/h. Wir müssen also vor dem Tunnel Überholmöglichkeiten schaffen, damit die Züge entsprechend sortiert werden und der Güterverkehr nicht nur nachts fahren kann.
Wie wird sich die Mobilität im Fernverkehr durch das Projekt verändern?
Müller: Die Prognosen gehen von einer Verdoppelung des Fernverkehrs aus. Derzeit fährt alle zwei Stunden ein Fernverkehrszug von und nach Prag. Perspektivisch soll mindestens stündlich ein Fernzug zwischen den beiden Städten verkehren – so sieht es der Deutschlandtakt vor. Mit der Neubaustrecke wird auch die Anbindung der europäischen Zentren mit der Bahn einfacher.
Welche Verbesserungen ergeben sich für den Güterverkehr?
Müller: Auf der Relation nach Prag beziehungsweise Südosteuropa können mehr Züge fahren. Derzeit sind pro Tag etwa 120 Züge durch das Elbtal unterwegs. Auf der Neubaustrecke planen wir mit 150. Auf der Bestandsstrecke können weitere Züge parallel fahren. Dem Güterverkehr stehen somit mehr Kapazitäten zur Verfügung. Die Fahrzeitverkürzung macht den Güterverkehr deutlich attraktiver und setzt damit die Ziele des Deutschlandtakts um.
Was bedeutet die Neubaustrecke für die Anwohnerinnen und Anwohner?
Müller: Zwischen Dresden und Heidenau bauen wir weitgehend auf bestehenden Gleisen. Dort gibt es bisher teilweise Lärmschutz, aber nicht durchgängig. Mit unserem Projekt werden wir einen durchgehenden Schallschutz vom Dresdner Hauptbahnhof bis kurz vor Pirna realisieren. Dann wird es auch für die Anwohner leiser.
Sie planen den Einbau von ETCS. Wie verändert diese Technologie die Kapazitäten auf der Strecke?
Müller: Mit dem Zugsicherungssystem ETCS haben wir die Chance, den sogenannten Blockabstand, also den Abstand zwischen den Zügen, zu verringern. Die Idee des Systems: Wenn ein Zug vorne bremst, kommt der dahinter automatisch zum Stehen. Dadurch können mehr Züge auf einer Strecke unterwegs sein. Im Tunnel zum Beispiel kann alle 500 Meter ein Zug fahren.
Viele Superlative werden mit dem Bauvorhaben in Verbindung gebracht. Unter anderem ist vom „längsten Eisenbahntunnel Deutschlands“ die Rede. Was ist das Besondere an der Neubaustrecke?
Müller: Die Besonderheit liegt in den damit verbundenen Planungen. Eine Anforderung des Tunnels ist zum Beispiel, dass entsprechende Evakuierungs- und Rettungspunkte benötigt werden, zum Beispiel an den Tunnelportalen. Von dort aus würden Einsatzkräfte wie die Feuerwehr in den Tunnel vorrücken, um Personen zu retten und mit Bussen zu evakuieren oder Brände mit entsprechender Technik zu löschen.
Das heißt, Sie brauchen zusätzliche Anlagen im Tunnel?
Müller: Genau. Die Richtlinie besagt, dass diese Rettungspunkte spätestens nach 20 Kilometern vorhanden sein müssen. Bei einem 30 Kilometer langen Tunnel bedeutet das, dass in der Nähe der Mitte ein weiterer Rettungspunkt eingerichtet werden muss. In unserem Fall brauchen wir ihn in einer Tiefe von ungefähr 400 Metern. Das heißt, wir müssen ein unterirdisches Bauwerk von etwa einem Kilometer Länge errichten, womit wir sicherstellen können, dass ein vollbesetzter Personenzug evakuiert werden kann. Wir müssen dort für über 1.000 Reisende entsprechende Sitz- und Wartemöglichkeiten schaffen. Das ist eine große Komplexität in diesem Tunnel.
Wie läuft die gemeinsame Planung mit den tschechischen Kolleginnen und Kollegen ab?
Müller: Wir stehen vor verschiedenen Herausforderungen. Da ist zum einen die Sprache. Wir dolmetschen, damit wir uns im Planungsprozess und später beim Bau verständigen können. Außerdem haben wir uns darauf geeinigt, dass das deutsche Regelwerk gilt. Damit können wir einen Standard anwenden, etwa wenn es um den Durchmesser des Tunnels geht. Dann wissen wir, dass in der Planung nichts davon abweicht, und das gibt uns Sicherheit. Natürlich mussten wir uns auch über den sogenannten Kostenteilungsschlüssel austauschen. Denn wenn wir gemeinsam planen, heißt das, dass wir auch die Kosten gemeinsam tragen.
Unterscheiden sich die Planungsphasen in beiden Ländern?
Müller: In Deutschland untergliedern wir die Planung in verschiedene Leistungsphasen. Die Leistungsphasen 1 und 2 umfassten die Grundlagenermittlung, die Variantenuntersuchung und die Ermittlung einer Vorzugsvariante. Wir haben die Leistungsphase 2 abgeschlossen und wollen mit den Leistungsphasen 3 und 4 beginnen, die die Vertiefung der Planung für das Planfeststellungsverfahren beinhalten. Im Anschluss folgen die Leistungsphasen für den Bau. Diese differenzierte Unterteilung haben die tschechischen Kollegen in dieser Intensität nicht. Wir mussten und müssen also koordinieren und diese unterschiedlichen Planungsabläufe und später auch die verschiedenen Genehmigungsprozesse „übereinanderlegen“ und synchronisieren. Ziel ist es, zum gleichen Zeitpunkt eine Genehmigung zu haben. Denn das deutsche Eisenbahn-Bundesamt wird wahrscheinlich nur dann eine Baugenehmigung erteilen, wenn die Behörde auf tschechischer Seite zum gleichen Zeitpunkt grünes Licht gibt.
Wenn der Bundestag zustimmt, welche Schritte sind dann noch zu gehen, bis tatsächlich gebaut werden kann?
Müller: Sobald der Bundestag den Bericht zur Kenntnis genommen hat, der Staatsvertrag ratifiziert wurde und die entsprechenden Mittel zur Verfügung stehen, können wir mit der nächsten Planungsphase beginnen. Bei uns heißt das dann: Entwurfs- und Genehmigungsplanung. In dieser Phase planen wir die Vorzugsvariante detaillierter. Dann schauen wir uns verschiedene Bereiche noch einmal genauer an, zum Beispiel den Schallschutz, und wir führen intensive Abstimmungen mit den Rettungskräften durch. Ende 2028 könnten wir in das sogenannte Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren gehen. Das führt dann das Eisenbahn-Bundesamt durch. Wenn das alles klappt, könnten wir 2032 mit dem Bau beginnen, der etwa zwölf Jahre dauert.
Bedeutung der Strecke für den Deutschlandtakt
Ziel des Deutschlandtakts ist es, das Schienennetz sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr leistungsfähiger, moderner und attraktiver für die Zukunft zu machen. Dies gelingt durch die Modernisierung und den zielgerichteten Ausbau des Schienennetzes. Durch besser aufeinander abgestimmte Züge sowie mehr Kapazitäten im Netz sinken Reisezeiten, und Fahrgäste sowie die verladende Wirtschaft profitieren von mehr Angeboten auf der Schiene.
Aber auch die europäische Dimension wird beim Deutschlandtakt von Anfang an mitgedacht. Der Deutschlandtakt verbindet das Bundesgebiet nahtlos mit seinen europäischen Nachbarn. Im Stundentakt sollen die Züge künftig von Berlin über Dresden nach Prag fahren. Die Fahrzeit zwischen Dresden und Prag verkürzt sich von heute zweieinhalb Stunden auf eine Stunde. Im Deutschlandtakt wird der Hauptbahnhof in Dresden zu einem 30er-Takt-Knoten, in den die Fernverkehrslinie Berlin – Dresden – Prag optimal eingebunden ist. So entstehen optimale Umsteigeverbindungen in die Regionen. Durch den Ausbau der transeuropäischen Netze (TEN-Korridore) und die damit verbundenen kürzeren Reisezeiten wird der grenzüberschreitende Schienenverkehr attraktiver sowie die Anbindung Deutschlands an das europäische Ausland weiter gestärkt. Die Neubaustrecke Dresden – Prag ist Teil des europäischen Rhein-Donau-Korridors. Auch der Schienengüterverkehr profitiert von mehr Kapazitäten und schnelleren Verbindingen zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik.
2025
parlamentarische Verfassung im Bundestag
Bis 2028
Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren
Bis 2032
Baubeginn
Bis 2044
Fertigstellung Neubaustrecke D – CZ
Titelbild: Deutsche Bahn AG / Volker Emersleben