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In Europa existieren rund 20 unterschiedliche Zugbeeinflussungssysteme. Das heißt, damit Züge grenzüberschreitend ohne zeitaufwendige Lokwechsel unterwegs sein können, muss ein Triebfahrzeug das System in jedem Land, welches es passiert, verstehen. Wie das gelingt? Technische Lösungen machen Fernreisen schneller und attraktiver – davon profitiert auch der Deutschlandtakt.

Genauso wie im Straßenverkehr gibt es beim Zugverkehr Verkehrsregeln, zum Beispiel Schilder und Signale, die Streckengeschwindigkeiten vorgeben. Hierbei kommen in Europa Zugbeeinflussungssysteme zum Einsatz, welche die zulässige Geschwindigkeit ständig kontrollieren und Fahrzeuge sogar eigenständig bremsen können, wenn der Zug zum Beispiel ein Haltesignal überfährt.

Kurz erklärt: PZB & LZB

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    Das dafür in Deutschland überwiegend verwendete Verfahren basiert auf dem System einer punktförmigen Zugbeeinflussung (PZB). Fahrzeuge im Schienennetz werden dabei punktuell via Magneten im Gleisbett überwacht. Überprüft wird unter anderem, ob Geschwindigkeitsbeschränkungen eingehalten werden oder die Triebfahrzeugführerin beziehungsweise der Triebfahrzeugführer gewisse Streckensignale wahrgenommen und innerhalb eines gewissen Zeitraums die „Wachsamkeitstaste” betätigt hat.

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    Neben der PZB kommt auf einigen Strecken in Deutschland die linienförmige Zugbeeinflussung (LZB) zum Einsatz, die für Geschwindigkeiten jenseits der 160 km/h entwickelt wurde und heute auf den meisten deutschen Hochgeschwindigkeitsstrecken verbaut ist. Das Fahrzeug wird durch die LZB permanent geführt und die Geschwindigkeit überwacht. Dazu werden im Führerstand des Triebfahrzeugs kontinuierlich Informationen zur Geschwindigkeit und Zielentfernung dargestellt, sodass die Triebfahrzeugführerin beziehungsweise der Triebfahrzeugführer keine Streckensignale benötigt. Als Rückfallebene ist auf den mit LZB ausgerüsteten Strecken in der Regel auch noch die PZB an entsprechenden Signalen verbaut. Durch das Zusammenwirken der automatischen Fahr- und Bremssteuerung (AFB) und der LZB kann das Fahrzeug bereits heute automatisiert beschleunigt beziehungsweise gebremst werden und so die Triebfahrzeugführerin beziehungsweise den Triebfahrzeugführer unterstützen. Mit der LZB kann eine hohe Streckenleistungsfähigkeit erreicht werden, weshalb diese unter anderem auch auf der hochbelasteten Stammstrecke der S-Bahn München eingesetzt wird.

Da in Europa viele verschiedene Zugsicherungssysteme verwendet werden, sind Lok- und Personalwechsel auf Europas Streckennetz aktuell oftmals unumgänglich, denn nicht jedes Fahrzeug kennt alle Zugbeeinflussungssysteme. Ein grenzüberschreitender Zug muss somit mit mehreren Systemen ausgerüstet werden, was bei der Fahrzeugbeschaffung und in der Instandhaltung erhebliche Mehrkosten verursacht. Hinzu kommt ein Personalwechsel, welcher Zeit, Aufwand und Geld im Güter- und im Personenfernverkehr kostet.

Für eine Vereinheitlichung der Systeme haben sich die europäischen Staaten und Bahnunternehmen deshalb auf die Einführung des European Train Control System (Europäisches Zugbeeinflussungssystem, kurz: ETCS) geeinigt. Dieses soll in Europa die Vielzahl der vorherrschenden Systeme ablösen und die Interoperabilität, sprich eine Kompatibilität zwischen allen Fahrzeugen und allen Strecken, im grenzüberschreitenden Bahnverkehr ermöglichen. Außerdem kann basierend auf ETCS das automatisierte Fahren (Automatic Train Operation, kurz: ATO) implementiert werden. Ein weiterer Schritt, um mehr Kapazitäten auf der Schiene zu schaffen.

Kurz erklärt: ETCS

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    Mit den unterschiedlichen ETCS-Levels reduzieren sich unter anderem Schilder und Signale entlang von Bahnstrecken. Wichtige Informationen – wie zum Beispiel, ob und wie schnell ein Streckenabschnitt befahrbar ist oder nicht – bekommt die Lokführerin oder der Lokführer nun auf einem Bildschirm direkt im Zug angezeigt. Zudem werden die Züge konstant von ETCS-Streckenzentralen (genannt Radio Block Center, kurz: RBC) via Funk überwacht und gleichzeitig wird mithilfe von „Balisen” – eine Art Transponder im Gleisbett – eine regelmäßige Positionsbestimmung durchgeführt. Die Fahrbefehle erhält der Zug dann in Folge der Auswertung der vorhandenen Daten aus der ETCS-Streckenzentrale. Für Geschwindigkeiten über 160 km/h muss das ETCS-Level 2 auf Strecken realisiert werden. Hier findet eine kontinuierliche Datenverbindung zwischen Fahrzeug und ETCS-Zentrale auf der Strecke statt.

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    Neben der erhöhten Sicherheit im Schienenverkehr bringt ETCS und das Fahren ohne Signale noch weitere Vorteile:

  1. 1

    Höchstgeschwindigkeiten bis 300 km/h auf Neubaustrecken

  2. 2

    höhere Trassenkapazität durch Automatisierung basierend auf ETCS

  3. 3

    geringere Instandhaltungskosten

  4. 4

    einfacher grenzüberschreitender Verkehr

Durch die Doppelausrüstung der eingesetzten Fahrzeuge (zusätzlich mit dem Zugsicherungssystem ETCS) verkürzte sich auf der Strecke München–Lindau–Zürich zum Beispiel im Frühjahr 2022 die Reisezeit um 30 Minuten auf dreieinhalb Stunden, da die Züge nun nahtlos von einem Land ins andere fahren können. Es erfolgt ein automatisierter Wechsel zwischen den länderspezifischen Zugsicherungssystemen an den Grenzen.

Wie die großen Entwickler Zugbeeinflussungssysteme vereinfachen

Deshalb arbeiten viele Zugentwickler an technischen Lösungen, damit ihre Züge ETCS und weitere „Fremdsprachen” beziehungsweise „Zugbeeinflussungssysteme” verstehen. Somit bleiben Lokwechsel erspart und grenzüberschreitender Schienenverkehr wird nicht zum Hindernis.

Siemens Mobility hat eine ETCS-Lösung mit einer Reihe von Komponenten und Konfigurationsoptionen für jedes ETCS-Levelentwickelt. „Das Trainguard-System erfüllt die strengsten Sicherheitsanforderungen, entspricht den technischen Spezifikationen für die Interoperabilität (TSI) und verfügt über ein skalierbares Portfolio an streckenseitiger Ausrüstung, fahrzeugseitigen Systemen und Kommunikationstechnologie“, so Siemens Mobility. Weltweit sind bereits mehr als 27.000 Streckenkilometer und 6.000 Fahrzeuge mit Siemens-ETCS-Systemen ausgestattet. Zum Einsatz kommen die geschaffenen Lösungen beispielsweise imnorwegischen Schienennetz im Rahmen eines landesweiten Roll-outs auf 4.200 Streckenkilometern (Inbetriebnahme bis 2034) sowie in Deutschland auf der VDE8 Strecke zwischen Halle/Leipzig und Ebensfeld. Die „Digitale S-Bahn Hamburg“ ist abschnittsweise der erste hochautomatisierte Bahnbetrieb im deutschen Regional- und Fernverkehr, basierend auf ETCS.

Des Weiteren hat sich Alstom als Anbieter im Bereich der Signaltechnik im Regional- und Fernverkehr spezialisiert. Dazu zählen laut Unternehmensangaben unter anderem 13.300 km ausgerüstete Strecken und 120 ETCS-Projekte weltweit. Derzeit rüstet Alstom 333 Triebzüge in der Region Stuttgart mit digitaler Signaltechnik nach. Alstom: „Im ‚Digitalen Knoten Stuttgart‘ wird dadurch die S-Bahn allein auf der Stammstrecke mindestens 20 Prozent leistungsfähiger.“

Um den transeuropäischen Schienenverkehr in Zukunft noch einfacher zu machen, setzt Stadler auf die ETCS-Plattform „Guardia“. „Sie hilft dabei, die ‚Fremdsprachen‘ zu verstehen und damit einen reibungslosen Verkehr durch mehrere Länder zu ermöglichen. Länderspezifische Anpassungen sorgen dafür, dass ‚Guardia‘ über Grenzen hinweg kompatibel ist und der Zug die Informationen des Netzes versteht“, erklärt der Hersteller. Dabei ist das System für Züge aller Baureihen und Hersteller verwendbar – es können also auch ältere Fahrzeuge damit ausgerüstet werden. „Guardia“ wurde bisher für mehr als 1000 Fahrzeuge in 12 Ländern verkauft. Neben der Zugbeeinflussung gibt es zudem Unterschiede in den Bahn-Informationssystemen, wie zum Beispiel Fahrplandaten. Hierfür hat das Unternehmen auf Standardprotokollen basierende Lösungen für die Fahrzeug-Land-Kommunikation entwickelt.

So profitiert der Deutschlandtakt von der Technik

Die neuen technischen Lösungen schaffen zusätzliche Kapazitäten im Schienennetz, da der Zielfahrplan des Deutschlandtakts sich auf die bisher vorhandene Infrastruktur bezieht. Die Digitalisierung sorgt für weitere Vereinfachungen und Zeitgewinne – auch auf innereuropäischen Verbindungen, insbesondere derzeit durch die fahrzeugseitige Doppelausrüstung mit dem Zugsicherungssystem ETCS. Das ist heute bereits zwischen München und Zürich spürbar. Künftig profitieren Reisende auch auf der Strecke Amsterdam–Berlin von einer kürzeren Reisezeit, da unter anderem am deutsch-niederländischen Grenzübergang bei Bad Bentheim der Lokwechsel hinfällig wird. Dank neuer digitaler Systeme der Zughersteller gewinnen der TEE 2.0 und der Europatakt an schnellen Verbindungen und verfügen über ein größeres Angebot. Damit wird die Schiene immer besser und zur attraktiven Transport- und Reisealternative im Güter- und im Personenverkehr.