Portrait von Joachim Behrends
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Der Schienengüterverkehr in Deutschland rollt – auch in Zeiten von Corona. Und dank des Deutschlandtakts bald noch schneller, flexibler und verlässlicher. Welche Maßnahmen, Wachstumschancen und wirtschaftlichen Synergien es zwischen dem Schienengüterverkehr und dem Deutschlandtakt gibt – darüber gibt Joachim Berends, Vizepräsident des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und Vorsitzender des Verwaltungsrates Schienengüterverkehr, Einblick. 

Die Verkehrsleistung im Schienengüterverkehr hat sich in den letzten 25 Jahren verdoppelt. Im letzten Jahr vor der Bahnreform – also 1993 – hatte der Güterverkehr eine Produktionsleistung von 65 Milliarden Tonnenkilometern. Heute liegt sie bei 130 Milliarden Tonnenkilometern. Die Schiene hat dabei einen Marktanteil am Gesamtfrachtmarkt von 18,5 Prozent (2018). Allerdings müsse man die Zahlen richtig bewerten, so Berends: „Der Anteil der Transportleistung hat sich nämlich nicht prozentual verändert, sondern nur in der Menge. Profitiert hat der Schienengüterverkehr hier unter anderem vom veränderten Verbraucherverhalten und vom wachsenden Güteraufkommen.“ 

Mit dem Ende Juni 2020 vereinbarten Masterplan Schienenverkehr soll sich das ändern. Das erklärte Wachstumsziel: Bis 2030 soll der Anteil der Schiene am Güterverkehr auf 25 Prozent steigen. 

Wie kann der Güterverkehr mit dem Deutschlandtakt Fahrt aufnehmen?

„Aktuell herrschen auf der Schiene im Güterverkehr viele unproduktive Zeiten“, erklärt Berends. So werden Güterzüge beispielsweise, wenn sie vor einem ICE fahren, oftmals an der nächsten Ausweichstelle rausgezogen. Dort warten sie dann, bis der ICE vorbei ist und sie weiterfahren können. Das führte bisher immer wieder zu Verzögerungen.

„Der Deutschlandtakt bringt nun die große Chance, dass der Güterverkehr sauber getaktet durchs Netz gezogen wird. Durch den Takt und die dadurch notwendigen Infrastrukturmaßnahmen – wie zusätzlich verfügbare Trassen bei wichtigen Engpässen – wird die Schiene so erheblich produktiver. Künftig fährt dann also der Güterzug mit 120 km/h auf dem einen Gleis und der ICE zieht mit 250 km/h auf dem anderen Gleis daran vorbei. Ohne dass der Schienengüterverkehr anhalten muss“, so Berends.

Dieser Vorteil des Deutschlandtakts würde sich nicht nur auf die Schnelligkeit auswirken, sondern die damit einhergehende zeitliche Planungssicherheit würde sich auch finanziell auszahlen. Berends erklärt: „Oftmals fährt man zum Beispiel mit einer schweren Lok von Hamburg nach München. In München wird der Zug dann noch mal aufgeteilt, weil nur ein Teil der Waggons nach Österreich weiterfährt.“ Verspätet sich nun der Güterzug von Hamburg nach München, herrscht Leerlauf für die Anschlussunternehmen, die die Waren weitertransportieren – oftmals über Stunden. „Und das passiert natürlich vielfach am Tag! Dabei muss man wissen, dass so eine Lok mit Personal oftmals 300–500 Euro in der Stunde kostet. Da können Sie sich ausrechnen, was da manchmal an Geld auf der Strecke bleibt.“

Mehr Verlässlichkeit durch Kapazitätsmanagement – auch bei Störungen

Um künftig Wartezeiten im Schienengüterverkehr zu vermeiden, hat der Deutschlandtakt bei der Kapazitätsplanung Engpässe im Schienennetz identifiziert, die jetzt systematisch mit entsprechenden Infrastrukturmaßnahmen behoben werden. Selbst eventuelle Ersatzstrecken im Fall von Störungen sind mit eingerechnet.

Wie kann man sich das vorstellen? „Das ist ähnlich wie bei der Straße: Wenn Sie heute die Autobahn sperren, dann sind sofort leistungsfähige Umleitungsstrecken – zum Beispiel Bundesstraßen – ausgezeichnet. Und das brauchen wir auch in der Schieneninfrastruktur. Denn es wird immer mal Störungen geben, aber diese dürfen weder Personen- noch Güterverkehr zu spüren bekommen“, erläutert Berends. 

Wettbewerbsfähigkeit im Schienengüterverkehr

Der Deutschlandtakt führt im Schienengüterverkehr also zu gesteigerter Verlässlichkeit, Schnelligkeit und Flexibilität, kurzum: zu einer höheren Produktivität. Aber macht das den Güterverkehr auch insgesamt wettbewerbsfähiger?

„Absolut“, bekräftigt der VDV-Vizepräsident. „Die ganze Industrie ist so getaktet, dass die entsprechenden Güter zu einer gewissen Zeit an den entsprechenden Maschinen zur Weiterverarbeitung ankommen müssen. Das war bisher immer der große Vorteil der Straße. Durch den Deutschlandtakt gewinnt die Schiene gerade für Industriekunden, die auf getaktete Verkehre angewiesen sind, an Attraktivität."

Eine vom Deutschlandtakt unterstützte Maßnahme, auf die sich Berends besonders freut: der Ausbau der Kreuzungs- und Überholgleise für 740-Meter-Züge. „Heute liegt die maximale Zuglänge etwa bei 630 Meter. Meistens kommt man sogar nur auf 600 Meter. Ein weiterer Pluspunkt der Güterbahn in Deutschland und Europa.“ 

Synergien durch den Deutschlandtakt

Joachim Berends sieht zudem ein hohes Innovationspotenzial, angeregt vom Deutschlandtakt: „Wenn wir jetzt prozentual im Schienengüterverkehr wachsen, dann schaffen wir automatisch eine Industrie, die in viel, viel schnelleren Innovationszyklen entwickelt, als wir das heute kennen.“ Als Beispiele nennt er die Fahrzeugindustrie und die Entwicklung emissionsärmerer, lastenstarker Züge oder die Digitale Automatische Kupplung, kurz DAK.

„Mit einem wachsenden Schienengüterverkehr würde also auch der gesamte Sektor immer besser. In diese Spirale müssen wir reinkommen – und diese Hoffnung ist eng verbunden mit dem Deutschlandtakt.“