Auf dem Bild sieht man die Filstalbrücke, die gerade Stück für Stück aufgebaut wird für eine Neubaustrecke der Bahn.
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Die Filstalbrücke in Baden-Württemberg ist ein Herzstück auf der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm und nicht nur ein Meisterwerk der Ingenieurskunst, sondern auch ein wichtiger Baustein im Projekt Deutschlandtakt. Ein Besuch auf der Baustelle.

Wer auf die knapp 500 Meter lange und mit 85 Metern dritthöchste Eisenbahnbrücke Deutschlands gelangen möchte, muss schwindelfrei sein. Nach einer kurzen Autofahrt vom Containerlager der Baufirma erreicht man das beeindruckende und weithin sichtbare Bauwerk. Wer hoch hinaus möchte, fährt vom Fuß einer der fünf massiven Pfeiler im luftigen Baustellen-Aufzug nach oben. Mit dabei: Olaf Drescher, Vorsitzender der Geschäftsführung der DB Projekt Stuttgart–Ulm GmbH und damit verantwortlich für die Eisenbahnprojekte Stuttgart 21 sowie die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm.

Filigranes Meisterwerk

Der Aufzug rattert gemütlich nach oben, der Wind nimmt spürbar zu, da deutet Drescher auf eine der Säulen: „Die beiden höchsten Pfeiler wurden in der Y-Bauweise errichtet. Dadurch war es möglich, die Anzahl der Stützen zu reduzieren.“ Schlank sind aber nicht nur die Brückenpfeiler. Denn bei dem gesamten Bauwerk, das eigentlich aus zwei Brücken mit jeweils einem Gleis besteht, setzten Olaf Drescher und seine Kollegen auf sportliches Aussehen. „Spannglieder aus vorgespanntem Stahl machen die Brücke belastbarer bei einer gleichzeitig schlankeren und filigraneren Bauweise.“

Gute Aussichten 

Und tatsächlich: Die Brücke fügt sich schon jetzt harmonisch in ihre bergige Umgebung ein. Die sich, oben angekommen, viele Kilometer weit für den Betrachter öffnet. Momentan erst nur für die Bauarbeiter, Anfang 2022 bereits für die ersten Testfahrzeuge und Ende 2022 öffnet die Strecke dann für Reisende des Zugverkehres. Doch nicht nur sie sollen sich über die Brücke freuen, auch die Anwohner sollen die neue Nachbarin annehmen. „Dazu wurden die Bürgerinnen und Bürger sowie die Kommunen früh in den Planungsprozess eingebunden“, berichtet Olaf Drescher. In Sachen Akzeptanz hilft wohl auch, dass die Anwohner wirtschaftlich vom Brückenbau profitieren. Die in Hochzeiten über 200 Arbeiter müssen schließlich irgendwo wohnen und essen. 

Doch damit Ende 2022 Züge rollen können, hatten die Arbeiter im Endspurt noch einiges zu tun: Bis Ende 2021 mussten Fahrbahn, Gleise, Oberleitungen und Windschutzwände auf der ersten der beiden Brückenbauwerke fertig werden, bis Sommer wird das auch bei der zweiten Brücke passiert sein. Auf dieser sind noch die Vorbereitungen für diese letzten Schritte zu sehen und es kann nicht schaden, beim Spaziergang über das Jahrhundertbauwerk die nächsten Meter des Weges im Auge zu behalten. Denn Löcher für Kabel und schweres Gerät zwingen bisher noch zum Zickzackkurs.

Wenn im Frühjahr 2022 Fahrzeuge bei ihren ersten Testfahrten mit bis zu 275 Kilometern pro Stunde – zehn Prozent schneller als später die Reisenden unterwegs sein werden – über die Schienen auf der Filstalbrücke flitzen, werden 55.000 Kubikmeter Beton sowie 7.700 Tonnen Stahl verbaut sein. Dann stören keine Hindernisse mehr die 60 Kilometer lange Strecke zwischen Wendlingen und Ulm.

Verbesserungen für die Region und ganz Deutschland

Und wofür der ganze Aufwand? „Im nächsten Jahr werden wir eine Verringerung der Fahrzeit zwischen Stuttgart und Ulm von rund einer Viertelstunde haben. Wenn 2025 Stuttgart 21 in Betrieb geht, wird sich die Fahrzeit im Vergleich zu heute auf eine halbe Stunde fast halbieren.“

Die Neubaustrecke Wendlingen – Ulm ist eine Maßnahme des Vordringlichen Bedarfs des Bedarfsplans für die Bundesschienenwege (Teil der ABS/NBS Stuttgart – Ulm – Augsburg) und auch dem Zielfahrplan für den Deutschlandtakt zugrunde gelegt. 

Die Inbetriebnahme ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Deutschlandtakt. Die Maßnahme ist Teil der ersten Etappe des Deutschlandtakts und ermöglicht kürzere Reisezeiten im Schienenpersonenverkehr sowie eine Optimierung der Taktknoten entlang des Korridors Stuttgart – Ulm – Augsburg – München. Mit Blick auf die nächste Etappe in der zweiten Hälfte der 2020er Jahre soll mit einem Halbstundentakt auf wichtigen innerdeutschen Hauptachsen ein Halbstundentakt im Schienenpersonenfernverkehr unter gleichzeitiger Berücksichtigung des Schienenpersonennah- und Güterverkehrs möglich werden. Dies beinhaltet auch die Achse Mannheim – Stuttgart – München mit der Neubaustrecke Wendlingen – Ulm. (s. Potenzialkonzept erste Etappe)

Doch auch für den Deutschlandtakt sei die Achse Mannheim–Stuttgart–Ulm–Augsburg–München, auf der dieses Teilstück liegt, sehr wichtig, schiebt Olaf Drescher direkt hinterher. Und tatsächlich sind die Filstalbrücke und viele andere im Bau befindlichen oder geplanten Maßnahmen in Deutschlands Eisenbahnnetz Puzzlestücke im Projekt Deutschlandtakt. 

Und da käme es manchmal auf wenige Minuten an, erzählt Drescher am Tunnelportal des Steinbühltunnels: „Wir haben im Sinne des Deutschlandtaktes bei der Planung bis zur letzten Minute um wenige Grad Neigung der Schienen im Tunnel gerungen, damit wir hier wertvolle Sekunden schneller und damit im geplanten Takt sind“.

Europäische Perspektive

Doch die Bundesbürger sind nicht die Einzigen, die von der Brücke profitieren. Das Teilstück liegt auf dem Rhein-Donau-Korridor zwischen den Metropolen Paris und Budapest. Das bedeutet einen weiteren Lückenschluss im trans-europäischen Verkehrsnetz und somit auch einen Schritt Richtung Europatakt.

Nun geht es einige Schritte in den Tunnel hinein, in dem auch im Sommer stets Weinkeller-Temperaturen herrschen. Der Tunnel ist mit der Brücke auf beweglichen Lagern verbunden. Damit ist sichergestellt, dass die Konstruktion auch extremen witterungsbedingten und geotektonischen Herausforderungen standhält.

Bauwerk für die Ewigkeit

Neben den Launen der Natur wird die Brücke über die Fils auch dem Zahn der Zeit ausgesetzt sein. Wie lange wird uns das Bauwerk denn erhalten bleiben? „Ab Fertigstellung wird die Brücke alle sechs Jahre inspiziert, sie wird mit Sicherheit über 100 Jahre halten“, sagt Olaf Drescher optimistisch.

Das sind doch mal gute Aussichten. Für die Menschen in der Region, Deutschland, Europa und das System Schiene.